Rezension | Jürgen Henkel: Halbmond über der Dobrudscha. Der Islam in Rumänien

Jürgen Henkel (Hg.): Halbmond über der Dobrudscha. Der Islam in Rumänien. Hermannstadt, Bonn: Schiller Verlag 2016, 230 S.

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Christof Kaiser, Berlin


Der 230-seitige Bild-Text-Band im angenehmen quadratischen Format mit teils dokumentarischem Charakter hat den Anspruch, „den Islam“ in Rumänien, besonders der bis 1878 osmanischen Region der Dobrudscha, vorzustellen. Das gelingt nur teilweise.

Im Gegensatz zu Bulgarien, wo heute 960.000 Muslime leben (über 10 Prozent der Bevölkerung), hat Rumänien nur sehr kleine Gruppen von Muslimen von etwa 70.000 Einwohnern. Gut, dass es zu diesen kleinen Ethnien und gleichzeitig religiösen Minderheiten nun ein erstes Buch in deutscher Sprache gibt.

Schon beim ersten Blättern im Buch werden aber störende Dinge augenfällig. Die vorgegebene Gliederung in die einzelnen Beiträge ist im Band selbst nur schwer nachvollziehbar. Dies vor allem wegen der immer wieder eingestreuten vielen Fotoseiten. So muss immer wieder vor- und zurückgeblättert werden, um zu sehen, bei welchem Beitrag man sich gerade befindet. Die Gliederung erschließt sich nur schwer.

Geographische Zuordnungen sind, wenn man keine detaillierte Landkarte der Gegend neben dem Buch liegen hat, fast unmöglich. Zudem lässt die Qualität der fast 200 Fotos immer wieder zu wünschen übrig (Belichtung, Kontraste, Perspektiven). Sehr gut wiedergegeben und passend sind dagegen die Reproduktionen von zwei Dutzend historischen Ansichten, alten Postkarten, Zeichnungen, Karten etc.  Die einzelnen Beiträge sind von sehr unterschiedlicher Länge und besonders auch von ganz unterschiedlicher Qualität. Untereinander ergeben sich auch eine Reihe Widersprüche zwischen den einzelnen Beiträgen, auch häufige Wiederholungen, sachliche Fehler und politische Anmaßungen, die das Thema nicht verdient. 

Orientierung in das Thema hinein bieten zunächst die ersten drei kürzeren Beiträge. Das Interview des Herausgebers mit dem Großmufti von Rumänien Iusuf Murat gibt zunächst eine grobe Orientierung, ebenso der einleitende Beitrag des Herausgebers Jürgen Henkel.  Positiv hervorzuheben ist der nächstfolgende Beitrag von Nuredin Ibram „Die Muslime in Rumänien“, ein mit vielen Zahlen und Daten gespicktes Informationspaket. Sinnvoll, manchmal amüsant ergänzt wird dieser Beitrag durch die Berichte von früheren Reisenden und ihren Schilderungen.

Fast die Hälfte der Textteile des Bandes umfasst der Beitrag „An den Pforten zum Orient: Konstanta, die König-Carol-I.-Moschee und die Muslime der Dobrudscha“ von Doina Păuleanu und dem jüngst verstorbenen Direktor des Nationalarchivs des Kreises Constanța, Virgil Coman. Dieser umfassende Beitrag bietet zahlreiche seltene Detailinformationen zu diesen Themen. Schön sind besonders die Schilderungen zum Aufblühen Constanțas im 19. Jh., beginnend noch während der osmanischen Zeit. Irritierend ist aber die ständig andere Benennung von Constanța in vermeintlicher Anlehnung an den türkischen Namen der Stadt, Küstendje, hier mal als Küstendge, Kiustengei, Kiustendje oder Chiustenge bezeichnet. Der Übersetzer (und Herausgeber) scheint mit der Region doch wenig vertraut zu sein, sonst hätte ihm unmöglich der grobe, wiederholte Schnitzer zu den häufigen Verwicklungen der (ukrainischen) Kosaken mit der Dobrudscha passieren können und diese als „Kasachen“ zu bezeichnen. Kasachstan fängt erst 2.000 km östlich der Dobrudscha an! Fast 25 Seiten werden in diesem Beitrag jedoch der Moschee Carol I. in Constanța gewidmet. Bei aller Größe, Schönheit, Bedeutung und Symbolhaftigkeit des Baues für das gute Einvernehmen der christlichen und muslimischen Rumänen, ist das zu viel, zu langatmig. Selbst die gesamte Eröffnungsfeier (1913) wird detailliert beschrieben. Diese größte Moschee der Dobrudscha wurde nicht nur als „Geschenk des Königs an die Muslime“ der Region erbaut, sondern als Dank für die völkerrechtliche Anerkennung Rumäniens durch das Osmanische Reich 1905 (S. 92).  Manchmal drohen die geschichtlichen Informationen in diesem umfassenden Beitrag in ein Zahlen- und Daten-Durcheinander mit häufigen Wiederholungen und unklaren Chronologien abzugleiten.

So wenig man im anschießenden kurzen Beitrag von Valentin Ciorbea den komplexen Zahlenangaben zu den Muslimen in den einzelnen Kreisen folgen kann – besonders schwierig aufgrund der zwischen 1913 annektierten und 1940 wieder aufgebebenen Süddobrudscha (Cadrilater) – so bedeutsam sind die darin angesprochenen diversen Probleme bezüglich der Türken und Tataren, z. B. die der massiven Enteignungen, Benachteiligung bei der Landverteilung (S. 131), massenhafte Auswanderungen (S. 130) oder den „Reibungen mit den makedonischen Kolonisten“ (d. s. Aromunen, S. 131) in der Zwischenkriegszeit.

Im Beitrag von Aledin Amet zum „Presse- und Bildungswesen der tatarischen und türkischen Volksgruppen in der Zeit von 1920 bis 1989“ fehlt leider eine kritische Betrachtung der stalinistischen und nationalkommunistischen Zeit von 1947 bis 1989. Es gibt nur den allgemeinen Hinweis, dass die „Zeitungen […] der tatarischen und türkischen Gemeinschaften […] verschwinden“ (S. 137) – sonst nichts.

Untragbar ist der nächstfolgende Beitrag des 2011 verstorbenen Constantin Ionașcu „Der antikommunistische türkisch-tatarische Widerstand in der Dobrudscha“. Allein die Sätze: „Im Zweiten Weltkrieg […] erfüllten die muslimischen Männer als Soldaten in der rumänischen Armee ihre Pflicht gegenüber dem rumänischen Staat mit vielen Opfern. Die Krim mit ihrer vorherrschend tatarischen Bevölkerung wurde vom auferlegten Kommunismus unter Hunderten von Opfern befreit.“ (S. 141) diskreditiert und entwertet den gesamten Band. Hier soll nichts weniger als der Eintritt Rumäniens als Alliierter Deutschlands in den Angriffskrieg – hier stilisiert als Befreiungskrieg – gegen die Sowjetunion und damit der Zweite Weltkrieg gerechtfertigt werden. Sollte der Herausgeber das nicht bemerkt haben? Beim Satz auf Seite 142 „Vier Mal durchzogen Armeen und Horden aus Russland die Dobrudscha und brachten Zerstörung und Verwüstung“ wird glatt unterschlagen, dass Rumänien nur an der Seite Russlands und durch dieses garantiert 1878 seine Unabhängigkeit überhaupt erreichte und die Dobrudscha – im Austausch gegen Südbessarabien und anstelle Bulgariens – auf dem Berliner Kongress überhaupt zugesprochen bekam. Dieser Autor ist dem ultranationalistischem Spektrum zuzurechnen; das im Nachsatz erwähnte Buch von Ionașcu Rezistența anticomunistă din Dobrogea ist kein Standardwerk – wie behauptet – sondern ein Propagandawerk.

Durchaus wieder solide das folgende Kapitel von Valentin Ciorbea über das große Werk des rumänischen Militärwissenschaftlers Marin Ionescu-Dobrogianu (1866–1938), der beinahe ein halbes Jahrhundert lang die Region intensiv erforschte und viele interessante Details zusammentrug.

Im gegen Ende des Bandes vorzufindenden Teil „Rundblicke – Moscheen der Dobrudscha im Porträt“ wird ein weiter Bilderreigen zu den verbliebenen islamischen Kultstätten der Region vorgelegt. Die acht wichtigsten Moscheen werden auch mit sachlichen Kurztexten vorgestellt, bei den restlichen 25 Moscheen ist lediglich die Ortsangabe verzeichnet; zumindest das Bau- oder Renovierungsjahr hätte noch hinzugefügt werden sollen – sinnvoll für ein solch umfangreiches Werk.

Im Anhang – eigentlich ein im anderen Kontext geschriebener Nachsatz – werden dann, endlich, im Beitrag von Josef Sallanz „Die Dobrudscha“, viele erklärende Details und historische Grundlagen dargestellt, die in den anderen Kapiteln vermisst werden.  Kurz und prägnant werden Geschichte, die Entwicklung ethnischer Strukturen und eine präzise Beschreibung einiger grundlegenden geographischen Strukturen der Region geliefert. Dieser sehr knappe lexikonartige Beitrag ragt aus dem Band durch seine Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit heraus.

In einem weiteren nützlichen Teil des Anhangs, der Übersetzung des „Beschlusses zur Anerkennung des Statuts der Muslimischen Kultusgemeinschaft“, einem Teil des Kultusgesetzes von 2006, kann die rechtliche Stellung und Organisation der muslimischen Volksgruppen nachvollzogen werden. Bezeichnend ist hier mal wieder das Jahr des neuen Gesetzes, das erst 2006 unter dem unmittelbaren „Druck“ des Beitritts zur EU verabschiedet wurde. Ob und wie es aber im Detail angewendet wird, ist unter den Bedingungen des sich erst sehr langsam herausbildenden rumänischen Rechtsstaats auch in Hinsicht auf diese Minderheiten fraglich.

Viele grundlegende Dinge, die zum Verständnis des Themas dazugehört hätten, wurden nicht oder kaum angesprochen. Dazu gehören:

  • Der Islam und die Muslime der Dobrudscha sind dort länger ansässig als die rumänischen Fürstentümer (ab dem 14. Jh.) bzw. Rumänien (ab 1859 / 1877) existieren.
  • An der Seite der russischen Truppen standen rumänische Soldaten im Unabhängigkeitskrieg 1877/78 und dadurch erst wurde die Angliederung der Dobrudscha – im Austausch mit Teilen Bessarabiens, die an Russland fielen – ermöglicht. 
  • Gar kein Bezug genommen wird auf die über 100 nach 1878 zerstörten Moscheen und die massiv „entorientalisierten“ Ortsbilder der nationalkommunistisch bedingten – landesweiten – Gleichschaltung der Ortsbilder durch die sogenannte Systematisierung, die im Ende jegliche Elemente eines vermeintlich orientalischen Stadt- und Ortsbildes – allerdings mit Ausnahme der meisten Moscheen – tilgen wollte.  
  • Kein Wort davon, dass die Dobrudscha noch Jahrzehnte nach ihrer Angliederung an Rumänien von den Behörden als „fremdes Land“ behandelt wurde– also unter einer Sonderverwaltung stand.1Vgl. Ekkehard Völkl: Rumänien. Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 1995, S. 43.
  • Ausgeklammert wird, dass zur Zeit der rumänischen Staatsgründung im 19. Jh. und in den Jahrzehnten danach die Muslime in den Balkanländern aus dem Prozess des „nation-building“ von vornherein ausgeschlossen blieben bzw. ein Verbleiben von Muslimen in der Region gar nicht vorgesehen war, da sie Untertanen des Osmanenreiches waren.2Vgl. Jean-Arnault Dérens, Laurent Geslin: Die Geschichte des Islam auf dem Balkan. In: Le Monde Diplomatique, S. 18, Paris, Berlin 9/2016.
  • Der immer und in fast allen Beiträgen gebetsmühlenartig wiederholte Aspekt der „Wiederangliederung“ der Region an Rumänien, an das Mutterland etc. ist falsch und entspringt nationalistischem Wunschdenken. Die Dobrudscha hatte vor 1878 mit Rumänien bzw. mit den rumänischen Fürstentümern wenig zu tun, es siedelten dort nur wenige Rumänen, und staatlich hatte die Region außer in der Zeit von Mircea dem Alten (1404 bis 1418) nie zu den Fürstentümern gehört.
  • Widersprüchlich und offen bleiben die Informationen zu den massiven Landenteignungen seit 1878 bis in die kommunistische Zeit und zur massiven Abwanderung von bis zu drei Vierteln der muslimischen Einwohner der Dobrudscha seit 1878 bis in die kommunistische Zeit. Diese Ereignisse haben das Leben der Gemeinden und sicherlich auch der meisten Familien bis in ihre Grundfesten erschüttert.
  • Die kommunistische Zeit wird weitgehend ausgeklammert – obwohl es da zu einer weiteren massiven Rumänisierung auch in der Dobrudscha kam – auch verbunden z. B. mit der Schließung von türkischen Schulen, Behinderung des Religionsunterrichtes, politischen Verfolgungen u. a.
  • Ein weiteres Manko ist das Fehlen von nicht-rumänischen Quellen, außer in den Beiträgen von Sallanz und vom Herausgeber selbst.
  • Fast gar nichts erfährt der Leser über das aktuelle Alltagsleben von Türken und Tataren in der Region oder über ihre wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten. Es fehlen auch Hinweise auf eine gewisse Attraktivität des Islam für die zahlreicher werdende Roma-Bevölkerung der Region.
  • Unklar und ohne Konkretisierungen bleibt der mehrfach als eine gewisse „Bedrohung“ erwähnte „Einfluss“ der ausländischen, meist arabischen religiösen Stiftungen und der türkischen Kultusbehörde Dinayet.  
  • Ein weiteres Defizit ist das Fehlen von Übersichtskarten. Es wird lediglich auf die altbekannte hundertjährige ethnographische Karte von O. Tafrali (Paris 1918) zurückgegriffen. Dadurch ist keine räumliche Übersicht z. B. über die aktuelle Verteilung der türkischen und tatarischen Bevölkerung oder der bestehenden Gemeinden und Moscheen möglich.

Fazit: Der recht gut ausgestattete Band mit umfangreichem Fotomaterial hält also insgesamt nicht, was er zunächst rein optisch verspricht. Schwer ist die inhaltliche Gliederung im Band nachzuvollziehen. Dazu gesellen sich etliche kleinere und größere Fehler und Auslassungen und ein beinahe durchgängig gar nicht mehr zeitgemäßes Eigenbild der rumänischen Nationalgeschichte. Durch einige grobe Fehler wird die Glaubwürdigkeit des Bandes insgesamt infrage gestellt.  Je „offizieller“ der jeweilige Beitragende ist, desto weniger „kritische Punkte“ werden angesprochen. Ein gewisser Einblick in das heutige muslimische religiöse Leben in der Dobrudscha wird aber ermöglicht und der Schlussfolgerung des heutzutage sehr friedlichen und lobenswerten Zusammenlebens der christlichen und muslimischen Gemeinden und Menschen in der ganzen Region kann nur zugestimmt werden. Es scheint dort eine Art, wie im Band mehrfach betont, „Euro-Islam“ zu existieren. Der Band kann als nicht mehr als ein erster Versuch einer Annäherung an das Thema angesehen werden.


[1]       Vgl. Ekkehard Völkl: Rumänien. Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 1995, S. 43.

[2]       Vgl. Jean-Arnault Dérens, Laurent Geslin: Die Geschichte des Islam auf dem Balkan. In: Le Monde Diplomatique, S. 18, Paris, Berlin 9/2016.

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