Die Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche in Rumänien 1919–1944. Urkundenbuch der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien Bd. 4/1 – Protokolle 1919–1926, Bd. 4/2 – Protokolle 1928–1932, Bd. 4/3 – Protokolle 1933–1938, Bd. 4/4 – Protokolle 1939–1944, bearbeitet, kritisch ediert und herausgegeben von Ulrich A. Wien und Dirk Schuster unter Mitarbeit von Timo Hagen, Honterus Verlag: Hermannstadt/Sibiu 2021.
Mit dieser vierbändigen Quellenedition erschien ein lang geplantes Werk, das die Sitzungsprotokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche in Rumänien von 1919–1944 kritisch und mit zwei ausführlichen Einleitungen ediert. Gefördert wurde die Drucklegung mit finanzieller Unterstützung des Departements für interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens durch das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien sowie einem Zuschuss durch die Potsdam Graduate School und des Landes Kärnten. Die Edition fügt sich bestens ein in eine Reihe bereits vorhandener Quellenbände zur Geschichte der deutschen Minderheit sowie der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und füllt eine wesentliche Lücke im bibliothekarisch erreichbaren Quellenbestand der Landeskirche.
Die aufwändige Transkription der Originaldokumente, die für die Anfangsjahre noch handschriftlich abgefasst wurden, förderte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Die Orthografie in den maschinenschriftlich vorliegenden Protokollen wurde an die heutige Schreibweise angepasst und offensichtliche Schreibfehler korrigiert, die originale Seitenzählung in Winkelklammern gesetzt. Wo es notwendig erschien, sind den Verhandlungsprotokollen erklärende Anmerkungen beigefügt, um der heutigen Leserschaft unbekannte Sachverhalte oder Zusammenhänge zu erhellen. Inhaltsverzeichnisse der jeweiligen Sitzungsperioden, die zum Quellenbestand gehören, gewähren einen ersten Überblick über die verhandelten Tagesordnungspunkte und ermöglichen einen schnellen, systematischen Zugriff auf Einzelfragen.
Am Ende von Band 4/2 (1080–1092) findet sich ein Literaturverzeichnis, das in Band 4/4 (2087–2090) ergänzt wurde. Ein Glossar (4/4, 2118f.), ein Abkürzungsverzeichnis (4/4, 2120–2123) sowie Biogramme der in den Protokollen erwähnten Personen (4/4, 2093–2117) erleichtern das Verständnis der Akten und verorten die Akteure. Die ausführlichen Einleitungen in den Teilbänden 4/1 (IX–XCIV) und 4/3 (VIII–LXXX), verfasst von Ulrich A. Wien und mit reichlich Bild- und Kartenmaterial versehen, fokussieren die Geschichte der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, insbesondere die Zwischenkriegs- und Kriegszeit bis 1945. Am Ende des Ersten Weltkriegs stand die „siebenbürgische ,Volkskirche‘“ (4/1, XLV) vor großen binnenkirchlichen Herausforderungen sowie äußeren Erweiterungen im neuen Vielvölkerstaat Rumänien. Die wesentlichen Aspekte und Akteure der fraglichen Jahre werden vorgestellt und kritisch beleuchtet.
Die Verhandlungsprotokolle in Band 4/1 (1919–1926) und 4/2 (1928–1932) dokumentieren das intensive Ringen um eine stabile finanzielle und personelle Basis für Kirche und Schule. Denn die Agrarreform zu Beginn der 1920er-Jahre hatte nicht nur den privaten, sondern auch den korporativen Besitz, mit dem das ausdifferenzierte Schulwesen in Siebenbürgen finanziert wurde, massiv verkleinert. Der Wechselkurs von ungarischer bzw. österreichischer Krone in rumänischen Leu, Kriegsverluste sowie die „inflationsfördernde Wirtschaftspolitik der rumänischen Zentralregierung“ (4/1, L) schädigten die ökonomische Basis der neu angeschlossenen Gebiete. Die erhoffte Selbstverwaltung, die in der Karlsburger Proklamation vom 1.12.1918 ausgesprochen war, wurde nicht verwirklicht, ebenso wenig wie der 1919 ratifizierte Minderheitenschutzvertrag. Stattdessen wurde unter der Regierungspartei der Liberalen die Zentralisierung forciert, die Gesetzgebung und Verwaltung in den angeschlossenen Gebieten den im sog. Altreich angewandten Gesetzen und Normen angeglichen.
Die 1920er-Jahre stellten auch die Weichen für die fatalen Entwicklungen in den 1930er-Jahren, die letztlich die „Selbstnazifizierung“ (4/1, LXXXIX) in Teilen der Bevölkerung und die „Gleichschaltung“ (4/3, LXIII) der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien durch die NS-Volksgruppenführung unter Andreas Schmidt und Bischof Wilhelm Staedel ab 1941 begünstigten. Pointiert zeichnet Wien den Radikalisierungsprozess und die Übernahmestrategien des in der Kirche agierenden NS-Flügels nach, der letztlich die Absetzung von Bischof Viktor Glondys bewirkte und unter Staedel eine „völkisch-nationalkirchliche Umprägung der Landeskirche“ (4/1, LXXVII) intendierte.
In der Einleitung in Band 4/3 vertieft und analysiert Ulrich A. Wien Einzelaspekte der Gleichschaltung und veranschaulicht dies mit vielen Quellenauszügen. Insbesondere geht er auf die Haltung des Pfarrervereins, die Auswirkungen der NS-Aktivitäten auf die Jugendarbeit und die sozialen Formationen (Bruder- und Schwesterschaften, Nachbarschaftswesen) in der Landeskirche, die Diakonie, die Entstehung des Lutherheims in Heltau und die evangelischen Schulanstalten ein. Die Schulen wurden unter Bischof Staedel 1942 der NS-Volksgruppenführung entschädigungslos übergeben. Die Reaktionen von NS-kritischen Gruppen und Personen durch volksmissionarische Bemühungen und die Abwehr von Gleichschaltungsmaßnahmen werden eingestreut. Wien resümiert in Band 4/3: „Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung, Nazifizierung und Selbstnazifizierung vollzogen sich komplementär.“ (4/3, LXI)
Die Protokolle der beiden letzten Bände 4/3 und 4/4 (1933–1944) spiegeln – unterstützt durch die Edition ergänzender, aussagekräftiger Quellen – diese Angriffe auf die Autonomie der Landeskirche und das ab 1936 schrittweise erfolgte, zunächst akzeptierte Eindringen von NS-Protagonisten in die Spitzenpositionen der Landeskirche. Besonders aufschlussreich unter den weiteren Quellen sind der „Kurze Bericht aus der Tätigkeitsperiode des 17. Landeskonsistoriums 1939 bis 31. März 1945“ (4/4, 2068–2086), das „Gesamtabkommen zur Regelung des Verhältnisses der evangelischen Landeskirche Augsburgischen Bekenntnisses zur Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ in Auszügen (4/4, 2051–2054) sowie der „Lehrplan für den Religionsunterricht an deutschen Schulen“ von 1942 (4/4, 2055–2067). Das „Gesamtabkommen“ wurde zuerst als Beilage zu den Kirchlichen Blättern vom 18.8.1942 geliefert, und der Lehrplan erschien als Beilage zu den Kirchlichen Blättern vom 13.10.1942.
Erwartungsgemäß konzentrieren sich die Protokolle des Landeskonsistoriums auf die zu behandelnden Fragen in den 10 siebenbürgischen Kirchenbezirken und das Diasporapfarramt. Aber aufgrund der territorialen Vergrößerungen des Königreichs Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich evangelische Minderheitenkirchen und -gemeinden in Bessarabien, im sog. Altreich und der Dobrudscha, im Banat und in der Bukowina der siebenbürgischen Landeskirche angegliedert. Seit 1926/27 unter einer gemeinsamen Kirchenordnung vereint, bildete das Landeskonsistorium in Hermannstadt die Zentralbehörde für die angeschlossenen Kirchenbezirke Bukarest, Czernowitz, Temeswar und Tarutino, den größten unter den neuen Bezirken. Nach Hermannstadt wurden die Bezirkskirchenprotokolle gesandt und die strukturellen Veränderungen im Kirchenbezirk mitgeteilt. Das 1930 gegründete landeskirchliche Hilfswerk für arme Gemeinden unterstützte auch mittellose Gemeinden und Lehrer in den angeschlossenen Kirchenbezirken, und das Landeskonsistorium verhandelte in Schulfragen als Zentralbehörde mit den Regierungsstellen. Mit der Umsiedlung der Deutschen aus Bessarabien, der Bukowina und der Dobrudscha ab 1940, der sog. Aktion „Heim ins Reich“, endete das kurze Intermezzo einer gemeinsamen Geschichte im Königreich Rumänien, und die Landeskirche verlor rund 120.000 Mitglieder für immer.
Die vorliegende Quellenedition erleichtert den Zugang zu den Originalakten um ein Vielfaches und stellt eine Fundgrube für alle historisch Interessierten und Forschenden dar. Die Bände sind u.a. in der siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim sowie in vielen Universitätsbibliotheken in Deutschland zugänglich. Es ist sehr zu wünschen, dass reichlich Gebrauch von diesem profunden Material und den vielen wichtigen Informationen gemacht wird.
Cornelia Schlarb