Rezension | Mariana Hausleitner: Eine Atmosphäre von Hoffnung und Zuversicht

Mariana Hausleitner: Eine Atmosphäre von Hoffnung und Zuversicht. Hilfe für verfolgte Juden in Rumänien, Transnistrien und Nordsiebenbürgen 1940–1944. Berlin: Lukas Verlag 2020, 294 S.

György Dalos


„Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es angerechnet, als würde er die ganze Welt retten“ – so steht es im Sanhedrin 37a des Babylonischen Talmuds geschrieben. Parallel hierzu die Verurteilung des Gegenteils: „Und wer ein Menschenleben zu Unrecht auslöscht, dem wird es angerechnet, als hätte er die ganze Welt zerstört.“ Während Letztere ihre Strafe erhalten, wird Ersteren „ein Platz in der kommenden Welt“, dem messianischen Zukunftsland eingeräumt. Zahllose jüdische Leben wurden in den Pogromen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit ausgelöscht; während des Holocausts auf dem europäischen Kontinent wurde das jüdische Leben als solches bedroht.

1953 erhob die Knesset die Ehrung der „Gerechten unter den Völkern“ zum Gesetz, und die im selben Jahr gegründete Gedenkstätte Yad Vashem sollte dafür sorgen, dass Helferinnen und Helfer von Verfolgten nicht in Vergessenheit geraten. Verfahrensrechtlich wurde die Ehrung ausschließlich nichtjüdischer Personen an Bedingungen geknüpft: Man brauchte eine exakte Schilderung der Rettungsaktion sowie den Nachweis, dass diese mit Risiko verbunden und ohne Gegenleistung durchgeführt worden war. Die meisten Vorschläge kamen verständlicherweise von Überlebenden und deren Nachfahren, in Einzelfällen konnten auch Archivrecherchen zweckdienlich sein. Trotzdem erwies sich das Konstrukt keineswegs als problemlos. So konstatiert die Historikerin Mariana Hausleitner in der Einführung ihrer Monografie Eine Atmosphäre von Hoffnung und Zuversicht, dass die Zahl von 66 anerkannten rumänischen Rettern, selbst wenn man sie um die 79 „Gerechten“ aus der benachbarten Republik Moldau ergänzt, als „eher niedrig“ betrachtet werden solle. Im Vergleich zu den entsprechenden Zahlen für Polen (6.800), die Niederlande (5.600) oder die Ukraine (2.634) und Ungarn (861) geben die rumänischen Daten allerdings nicht so sehr die realen Begebenheiten wieder als vielmehr den unzureichenden Forschungsstand. Unter anderem muss berücksichtigt werden, dass nicht alle, die ihren Mitmenschen seinerzeit geholfen haben, Yad Vashem überhaupt kannten oder einen Anspruch auf den Titel „Gerechte unter den Völkern“ geltend machen wollten. Außerdem waren nicht alle Überlebenden imstande, die Geschichte ihrer Rettung plausibel zu dokumentieren. Die vergangenen Jahrzehnte bewirkten die weitgehende Historisierung des Themas, wodurch die Einordnung des Phänomens Lebensrettung in den sozialen und kulturellen Kontext erforderlich wurde.

Antisemitismus war – mit Blick auf den Zeitraum, den Mariana Hausleitners Band anspricht – vom Anfang an fester Bestandteil der rumänischen Politik, einerseits als staatlich diktierte Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung, andererseits als von Militärs und den Geheimdiensten geförderte Massenbewegung. Offiziell äußerte sich die Diskriminierung durch den „Status der Juden“ vom August 1940, der die jüdische Religion nicht mehr als Konfession, sondern das Judentum als „Rasse“ definierte und sogenannte Mischehen unter Verbot stellte. Implizit löste der gescheiterte Putschversuch der faschistischen Eisernen Garde im Januar 1941 pogromartige Ausschreitungen in Bukarest mit aus, bei denen 130 Juden ums Leben kamen. Dieses Ereignis bildete auch den traurigen Anlass zu den ersten Rettungsaktionen. Ein Ehepaar beherbergte beispielsweise eine vor der Eisernen Garde Schutz suchende jüdische Familie, ein Mann bot seinen Nachbarn Asyl, eine Frau nahm ihre schwerkranke jüdische Freundin auf und pflegte sie bis zu ihrem Tod. Diese rein altruistischen Hilfeleistungen wurden später durch Ehrungen anerkannt.

Anders als Ungarn, dem nach dem Zweiten Wiener Schiedsspruch Nordsiebenbürgen zugeschlagen wurde, verbuchte Rumänien diese Gebietsabtretung als empfindlichen Verlust, genauso wie die sowjetische Annexion von Bessarabien – eine Folge des Molotow-Ribbentrop-Paktes. Die Rivalität der kleineren Achsenmächte beeinflusste die Haltung zur Kriegsbeteiligung an der Seite von Hitlerdeutschland. Fühlte sich der ungarische Reichsverweser Miklós Horthy für die partielle Revision des Friedens von Trianon gegenüber dem Deutschen Reich zu Dankbarkeit verpflichtet, so erwartete der rumänische Staatsführer Ion Antonescu aufgrund seines militärischen Engagements territoriale Gewinne in Bessarabien als eine gewisse Entschädigung für den ungarisch gewordenen nördlichen Teil Siebenbürgens. Als „Zugabe“ verwaltete Rumänien das gemeinsam mit der Wehrmacht eroberte Transnistrien mit Städten wie Odessa (ukr. Одеса, russ. Одесса) und Mogilew-Podolski (ukr. Могилів-Подільський, rum. Moghilǎu). Dieser geografische Raum, teils mit vielen dort ansässigen, teils dorthin deportierten Juden, lässt sich als Hauptschauplatz des rumänischen Holocausts definieren. Der Vernichtungskrieg gegen die jüdische Bevölkerung des Landes begann als Pogrom. Unmittelbar nach dem Vormarsch der rumänischen Armee am 22. Juni 1941 bombardierten sowjetische Flugzeuge Jassy (rum. Iași, ung. Jászvásár). Als Vergeltung wurde daraufhin im jüdischen Viertel der Stadt eine Razzia angeordnet, in deren Verlauf plündernde Soldaten, Gendarmen und Zivilisten in nur wenigen Tagen fast 15.000 jüdische Bürger ermordeten. Die Zahl der Opfer übertraf nach Ende des Krieges 300.000.

All diejenigen, die damals Mitmenschen retteten, handelten in einem Umfeld, in dem dies keineswegs zur Norm gehörte. Vor allem in der ersten, „erfolgreichen“ Phase des Krieges riskierten die „stillen Helden“, die kleinen Leute, durch ihre Aktionen Leib und Leben. Auf das Verstecken von Juden stand die Todesstrafe, und Denunzianten fanden sich überall. Trotzdem versuchten einfache Bürger immer wieder, Verfolgten mit Obdach, Geld oder Lebensmitteln beizustehen. Bekannt wurden jedoch eher die Fälle, bei denen es nicht um Einzelne, sondern um größere Gemeinschaften ging. Als außergewöhnliche humanitäre Leistung dieser Art erwähnt Mariana Hausleitner die Rettung von 20.000 Czernowitzer Juden. In dieser Aktion zeichneten sich der deutsche Konsul Fritz Schellhorn und der Bürgermeister Traian Popovici durch Mut und Vernunft aus: Ihnen gelang es, dem Widerstand des Gouverneurs Calotescu trotzend, eine Liste von Juden zusammenzustellen, die in keinem Fall abtransportiert werden dürften, weil „ohne sie die Versorgung der Stadt zusammenbrechen würde“. Selbst am Ort der Hoffnungslosigkeit, Mogilew-Podolski, gelang es dem Ingenieur Siegfried Jägendorf etwas zu vollbringen, das an ein Wunder grenzt: Er gründete eine Fabrik zur Reparatur der kriegsbeschädigten Elektrizitätswerke der Stadt. Die Erweiterung der Produktionsstätte erlaubte es, 500 jüdische Arbeiter zu beschäftigen und deren Familien vor der Deportation aus Czernowitz zu verschonen – eine Heldentat, die sich durchaus mit Oskar Schindlers Wagnis vergleichen ließe.

Wichtig für derartige Aktionen war die für Rumänien typische Rolle informeller Beziehungen innerhalb der politischen Elite. (So konnte Traian Popovici 20.000 Juden retten, weil er Ion Antonescu persönlich kannte.) Dasselbe Privileg besaßen die Anführer der beiden damals verbotenen Parteien. Iuliu Maniu von der Bauernpartei konnte in einem persönlichen Gespräch mit dem „Marschall“ (Antonescu) sogar gegen die geplante „Rumänisierung der Wirtschaft“, d. h. die Enteignung jüdischen Vermögens, argumentieren, während der Nationalliberale Constantin Brătianu schriftlich gegen die Deportation von 25.000 Roma protestierte. Dabei war es kein Zufall, dass größere Aktionen in Bukarest stattfanden, wo sich die meisten Diplomaten neutraler Staaten sowie Vertreter des Roten Kreuzes aufhielten und wo die Verbreitung wichtiger Informationen kaum verhindert werden konnte. Hier entfaltete sich die Tätigkeit der jüdischen Hilfsorganisationen, so die eines Damenkomitees, deren Mitglieder unter anderem aus Spenden Bukarester Juden Kleider für Waisenkinder in Transnistrien sammelten und diese den Leidtragenden zukommen ließen. Was diese Sendungen bedeuteten, schilderte eine damals 14-jährige Überlebende in ihren Erinnerungen: „Alle hatten ein neues Aussehen, mit mehr Würde und menschlichen Zügen, und einige Mädchen waren sogar hübsch.“

Mehr als die Deportation nach Transistrien mit ihren zigtausenden Opfern befürchtete man die Auslieferung der Juden direkt an das Deutsche Reich – eine Forderung, die Adolf Eichmanns Mitarbeiter, der in der deutschen Botschaft residierende „Berater für Judenangelegenheiten“, Gustav Richter, beim rumänischen Regime wiederholt gestellt hatte. Spätestens nach der Schlacht bei Stalingrad, als die Wehrmacht die strategische Initiative endgültig verloren hatte und worüber sich Antonescu völlig im Klaren war, versuchte die rumänische Seite diese Aktion zu verschieben und dann endgültig abzusagen. Aus dieser Vorsicht, die mit Spekulationen über einen Separatfrieden verbunden war, versuchen heutige Verehrer des Kriegsverbrechers und leidenschaftlichen Judenfeindes eine Tugend zu machen. In Wirklichkeit ging es Antonescu und der ihn umgebenen Gruppe am Vorabend ihres Sturzes nur noch darum, den eigenen Kopf zu retten. Damals aber hofften viele Juden darauf, dass die Schwächung der Diktatur das Leben der noch Lebenden retten könnte. Vor allem die Zionisten schmiedeten Pläne über die Verschiffung einer größeren Zahl bedrohter Glaubensgenossen in die Türkei, um sie von dort nach Palästina weiterzubefördern. Das in Panik geratene Regime zeigte sich bereit, über 75.000 Juden aus Transnistrien freies Geleit zu gewähren – gegen ein Kopfgeld und ohne Übernahme der Fahrtkosten. Dieser unter Kriegsbedingungen ohnehin kaum umzusetzende Plan wurde verworfen und durch ein Projekt zugunsten von 5.000 Waisenkindern ersetzt. Letztendlich gelang es 3.000 Kindern und einigen aus Ungarn geflüchteten Juden, den Hafen Konstanza (rum. Constanța) zu verlassen.

Mariana Hausleitners mit eindrucksvollem Fotomaterial bereicherte Untersuchung überzeugt durch ihre Akribie und Präzision sowie den Quellenreichtum. Ergreifend sind die Schilderung der Einzelschicksale – sowohl der Retter als auch der Geretteten –, die zahlreichen Porträts und der Ausblick auf die Nachgeschichte: der ungerechte Umgang des kommunistischen Rumäniens mit vielen der späteren „Gerechten“, die als „klassenfremde Elemente“ behandelt wurden und Repressalien ausgesetzt waren. Aber auch das Schicksal ehemaliger Opfer verlief ungünstig, sobald ihre Forderungen nach Restitution den Vorstellungen des Staates nicht entsprachen. Hinzu kamen das Verschweigen des Leidenswegs rumänischer Juden und die Bevormundung ihres konfessionellen und kulturellen Lebens. Es ist begreiflich, dass so viele der Überlebenden die Alija als einzigen Ausweg wählen konnten. Trotzdem gehört zu der tragischen Geschichte insofern Tröstliches, als es Menschen gab, die das Gebot der Nächstenliebe in Zeiten bewahrt haben, in denen der simple Anstand eine heroische Qualität enthielt.

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