Rezension | Jörg Echternkamp: Sozialistische Waffenbrüder?

Jörg Echternkamp (Hg.): Sozialistische Waffenbrüder? Rumänien und die DDR im Warschauer Pakt. Potsdam: ZMSBw (= Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) 2020. 236 S.

Georg Herbstritt


Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam widmet sich wie seine Vorgängereinrichtung, das Militärgeschichtliche Forschungsamt, mit einem Forschungsschwerpunkt der Militärgeschichte der DDR. Dabei werden auch die bi- und multilateralen Beziehungen und Verflechtungen der DDR innerhalb des östlichen Militärbündnisses untersucht und Forschungsergebnisse veröffentlicht. In diesem Kontext publizierte das Zentrum für Militärgeschichte in seinen Schriftenreihen schon mehrfach Beiträge rumänischer Autorinnen und Autoren in deutscher Übersetzung und erschließt auf diese Weise dem deutschsprachigen Publikum Ausschnitte aus der rumänischen Zeitgeschichtsforschung. Mit dem nun erschienenen Sammelband Sozialistische Waffenbrüder? legt das Potsdamer Institut erstmals eine Publikation vor, in der das sozialistische Rumänien den thematischen Schwerpunkt bildet. Er präsentiert die Beiträge eines gemeinsamen Workshops von ZMSBw und dem Institutul pentru Studii Politice de Apărare și Istorie Militară (Institut für verteidigungspolitische Studien und Militärgeschichte, ISPAIM), der im Februar 2019 in Bukarest stattfand; das ISPAIM untersteht dem rumänischen Verteidigungsministerium.

In der Einleitung erläutert der Herausgeber Jörg Echternkamp vom ZMSBw den methodischen Dreischritt des Bandes: Dessen erstes Kapitel fragt nach den „politischen Verflechtungen“ der beiden militärischen Bündnispartner, während das zweite Kapitel anhand gemeinsamer Militärmanöver das konkrete Verhalten der Militärs beider Länder innerhalb des Warschauer Vertrags untersucht und das dritte Kapitel unter der Überschrift „Militärhilfe in Afrika und Nahost“ militärische Auslandsaktivitäten beider Länder in den Blick nimmt.

In jedem der drei Kapitel sind Forscher beider Institutionen mit Beiträgen vertreten. Im ersten Kapitel arbeitet Rüdiger Wenzke präzise die widersprüchliche (Militär-)Politik der DDR in den 1970er-Jahren heraus, die ebenso von „Friedens- und Entspannungspolitik“ wie von „Aufrüstung, Militarisierung, äußerer Abgrenzung und innerer Repression“ geprägt war. Manuel Stănescu untersucht die ostdeutsch-rumänischen Beziehungen anhand der bilateralen Treffen der Verteidigungsminister beider Länder 1970, 1972 und 1982 und bescheinigt den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen beider Staaten in den 1970er- und 1980er-Jahren einen Aufschwung. Zugleich zitiert er aus einem bemerkenswerten, kontroversen Gespräch Ceaușescus mit DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann von 1982, das Differenzen in den militärpolitischen Auffassungen beider Staaten offenlegt. Klaus Storkmann charakterisiert in seinem gut durchdachten Beitrag die beiden Länder als „Verbündete auf Distanz“. Die Distanz lag demnach nicht nur in der geografischen Entfernung begründet, weshalb es in Fragen der strategischen und operativen Planungen ohnehin keine Berührungspunkte zwischen dem Hauptstab in Strausberg und dem Generalstab in Bukarest gab, sondern auch in den unterschiedlichen politischen Positionen zwischen der besonders sowjethörigen DDR und dem renitenten Rumänien. Gleichwohl riss die militärische Zusammenarbeit nie ab. Sie bestand insbesondere in einer Kooperation auf dem Gebiet von Rüstung und Entwicklung neuer Militärtechnik sowie dem Austausch von Rüstungsgütern, wobei die rumänischen Lieferungen an die DDR etwa sechs- bis zwölfmal so hoch waren wie umgekehrt.

Im zweiten Kapitel untersucht Christoph Nübel das Manöver „Waffenbrüderschaft 1970“, das die Warschauer Vertragsstaaten damals in der DDR durchführten. Rumänien entsandte lediglich eine verknappte Panzerdivision mit 224 Mann zu dem Manöver, an dem insgesamt immerhin rund 72.000 Militärangehörige teilnahmen. Dem Beitrag gelingt es dank adäquater Methodik und Fragestellung, das Ringen um die rumänische Manöverteilnahme als anschauliches Fallbeispiel für die „taktierende Souveränitätspolitik“ Rumäniens darzustellen. Es werden die Strategien und begrenzten Möglichkeiten des Warschauer Pakts erkennbar, den unbotmäßigen und geschickt lavierenden südosteuropäischen Partner in die Bündnisdisziplin einzubinden. Der Beitrag von Sorin-Vasile Negoiță veranschaulicht, wie Rumänien seine Manöververpflichtungen dadurch begrenzte, dass es seit 1965 nur noch an jährlichen „Kommando- und Generalstabsübungen auf der Karte“ teilnahm, die zusammen mit Sowjets und Bulgaren in Neptun stattfanden, sowie Flottenübungen mit den beiden Ländern im Schwarzen Meer durchführte.

Im dritten Kapitel berichtet Sorin Cristescu detailreich über den ersten Auslandseinsatz der rumänischen Armee nach 1945: die Operation „Sirius“, die Ausbildung von rund 300 Militärpiloten in Angola in den Jahren 1981 und 1982. Er verweist außerdem darauf, dass in den 1980er-Jahren mehrere Tausend Soldaten aus dem südlichen Afrika an rumänischen Militärschulen ausgebildet wurden, die dadurch auch in die Lage versetzt worden seien, „am Befreiungskampf teilzunehmen“. Klaus Storkmann analysiert sorgfältig die DDR-Militärhilfen für Länder Afrikas und des Nahen Ostens und ordnet sie in den „Globalen Kalten Krieg“ ein. Bemerkenswert ist, neben anderem, sein Befund, dass die östlichen Verbündeten ihre globalen Einsätze kaum koordinierten und beim Waffenexport sogar gegenseitiges Preisdumping betrieben.

Die Beiträge dieses Sammelbandes nehmen zum Teil selbst schon Vergleiche und Verflechtungen der ostdeutsch-rumänischen Beziehungen vor. Andere Beiträge fokussieren sich auf eines der Länder, doch werden die Leserinnen und Leser durch den Aufbau des Bandes in die Lage versetzt, selbst Vergleiche anzustellen oder Abgrenzung und Verflechtung festzustellen.

Während die deutschen Autoren umfangreiche Archivbestände ausschöpfen konnten, beklagen die rumänischen Autoren jeweils den derzeit noch restriktiven Zugang zu rumänischen Militärakten. Doch das scheint nicht der einzige Grund zu sein, weshalb jene Beiträge insgesamt leider weniger überzeugen als die der Potsdamer Kollegen. Man vermisst in den rumänischen Beiträgen, die dokumentarisch durchaus interessant sind, kritische Fragestellungen und weiterführende Analysen. So wäre im Kontext der rumänischen Militärhilfe für Drittstaaten eigentlich die Frage naheliegend, welche politischen oder wirtschaftlichen Interessen Rumänien hierbei verfolgte. Bei der Darstellung der drei bilateralen Treffen der Verteidigungsminister beider Länder überrascht, dass der Autor trotz der dürftigen Quellenlage davon ausgeht, dass es nur diese drei Treffen gegeben habe; und tatsächlich erwähnt der Beitrag von Storkmann weitere Treffen der beiden Verteidigungsminister. Auch unstimmige Details im selben Beitrag von Stănescu wie die Bezeichnung des bekannten britischen Rumänienexperten Dennis Deletant als „amerikanischer Historiker“ verwundern. Der Beitrag von Negoiță kompensiert die schwierige Quellenlage, indem er sich im Wesentlichen auf einen bereits um 1980 verfassten Bericht von Christopher Jones vom Harvard Russian Research Center über „Sowjetische Militärdoktrin und Warschauer Pakt-Übungen“ stützt sowie auf Dokumente und Erinnerungen, die der frühere rumänische Verteidigungsminister Constantin Olteanu (1980–1985) 2005 und 2012 veröffentlichte, ohne dass eine erkennbar kritische Auseinandersetzung mit diesem Akteur und Zeitzeugen stattfindet.

Ein rund 90 Seiten umfassender Dokumententeil rundet den Band ab. Eine kleine Fotostrecke mit acht Bildern dient der Illustration, doch die Bildauswahl geht mitunter am Thema des Bandes vorbei, und das Foto des Treffens zwischen Honecker und Ceaușescu ist um zehn Jahre zu früh datiert. Aufschlussreich sind die als Faksimile abgedruckten Dokumente aus deutschen und rumänischen Archiven mit deutschen Übersetzungen der rumänischen Dokumente. Sie illustrieren und vertiefen einige der in den Beiträgen behandelten Aspekte. Trotz der genannten Kritikpunkte bietet der Sammelband insgesamt einen wichtigen und beachtenswerten Beitrag für die Erforschung und das Verständnis der rumänischen Autonomiepolitik von den 1960er- bis zu den 1980er-Jahren.

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