Ein offenes Feld und offene Türen

Dr. Ekkehard Hallensleben im Gespräch mit Michaela Nowotnick

Ekkehard Hallensleben war von 1965 bis 1969 der erste Kulturreferent der Handelsvertretung der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien. Der promovierte Romanist und Germanist sprach mit Michaela Nowotnick über seine Bukarester Zeit und seine damalige Tätigkeit in dem Land, das sich unter Nicolae Ceaușescu Richtung Westen zu öffnen schien.

Haben Sie vielen Dank, dass wir uns zu einem Gespräch über Ihre Zeit in Rumänien treffen können. Wenn man sich hier in Ihrem Haus umsieht, kann man das eine oder andere entdecken, das sicherlich aus Rumänien stammt, wie Hinterglasikonen oder siebenbürgisch-sächsische Krüge. Sie sind 1965, jenem Jahr, in dem Nicolae Ceaușescu die Nachfolge von Gheorghe Gheorghiu-Dej als Parteichef angetreten hatte, in den diplomatischen Dienst nach Bukarest gegangen. Woher stammt Ihre Faszination für Rumänien, und warum haben Sie sich für dieses Land entschieden?

Ich habe mich mit den romanischen Sprachen beschäftigt, im Hauptfach Französisch studiert. Dann dachte ich, Rumänisch musst Du eigentlich auch noch lernen, und habe einen Sprachkurs – ich war an der Uni Köln mit meinen Examina – belegt. Im Herbst 1963 kamen Rumänien und die Bundesrepublik Deutschland überein, offizielle Beziehungen in der Form einer Handelsvertretung aufzunehmen – sozusagen Ostpolitik, die erst ab 1969 offiziell so genannt wurde, avant la lettre. Und für mich – ich hatte meinen Vorbereitungsdienst im Auswärtigen Amt beendet – stellte sich 1965 die Frage: „Wohin?“ – Da habe ich mich sofort für Rumänien gemeldet und diesen Posten auch bekommen. Es war schlichte persönliche Neugier, und ich wollte Rumänisch als weitere romanische Sprache lernen. Ich hatte von Rumänien keine Ahnung, und von Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben wusste ich praktisch ebenfalls nichts. Meine Sprachkenntnisse waren auch nicht weit gediehen. Das war eine Konstellation, in der sich die allgemeine Atmosphäre, der Wechsel von Gheorghiu-Dej zu Nicolae Ceaușescu 1965 in Rumänien und meine persönliche Situation trafen. Und so kam ich im Dezember 1965 dahin und wurde Ostern 1969 nach Bonn zurückversetzt.

Wie kam es dazu, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Handelsvertretung für ihre diplomatisch-kulturellen Tätigkeiten nutzte, und wie schätzen Sie das Interesse von Rumänien zur damaligen Zeit ein?

Das waren sehr spannende Jahre. Rumänien war der erste der osteuropäischen beziehungsweise südosteuropäischen kommunistischen Staaten, der geraume Zeit vor den ‚Bruderstaaten‘ und der Sowjetunion den Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zu uns tat. Wegen des Alleinvertretungsanspruchs1Von 1949 bis 1969 die Alleinvertretung für das gesamte deutsche Volk. kam eine Aufnahme diplomatischer Beziehungen zunächst nicht in Frage; denn alle diese Länder hatten diplomatische Beziehungen mit der DDR. Also lief es in der Bundesrepublik Deutschland unter der Überschrift ‚Handelsvertretung‘. Eigentlich würde das bedeuten, dass nur Handelsinteressen verfolgt werden dürften. Es kam aber sofort eine gewisse konsularische Zuständigkeit hinzu. Und die Rumänen haben sich umgehend bereit erklärt, jemanden kommen zu lassen, der sich um kulturelle Beziehungen kümmert. Das war dann ich, als erster.

Wie setzte sich die Handelsvertretung zusammen, und wie wurde sie vom rumänischen Staat wahrgenommen?

Es gab einen Chef, eine Stellvertreterin, und mich für Kultur und Presse – das waren die Referenten. Später kam noch jemand für Wirtschaft hinzu. 1967 habe ich auch den Übergang zur Botschaft erlebt, sodass wir – natürlich auf beiden Seiten – den vollen diplomatischen Status hatten. Der Alleinvertretungsanspruch führte dazu, dass es ständig Auseinandersetzungen darüber gab, wie wir uns auf Rumänisch nennen. Wir sagten „Germania“ im Nominativ. Die Rumänen gingen ja davon aus, dass es zwei Deutschlands gab. Deswegen benutzten sie die Genetivform „Republică Federală a Germaniei“. Das sollte zum Ausdruck bringen, dass wir nur ein Teilstaat waren. Wir verwendeten natürlich die Form „Republică Federală Germania“. Das war ein ausgesprochen politisches Problem. Aber da das Interesse an Beziehungen auf beiden Seiten überwog, haben wir und die Rumänen auf Durchzug gestellt, wenn – vor allem schriftlich – die jeweilige „falsche“ Form benutzt wurde.

Wie gestaltete sich Ihr Ankommen in Bukarest, und wie haben Sie dort gelebt?

Zunächst wurden neue Mitarbeiter im Hotel untergebracht. Danach war man nicht wie in Moskau abgeschirmt in einem großen Block, sondern es gab ein Oficiu pentru deservirea corpului diplomatic (dt. Diplomatenbetreuungsbüro). Es hatte die Aufgabe, für die Diplomaten Unterkünfte zu beschaffen. Weil ich der erste auf dem Posten war, gab es also noch keinen Vorgänger, und es gab auch noch keine Vorgängerwohnung. Alle, die bis dahin aus Bonn beziehungsweise aus dem Westen gekommen waren, mussten warten, bis das Oficiu ein Haus oder eine Wohnung fand, die es anbieten konnte. Das hat bei uns sehr lange gedauert. Ich bin zunächst allein dorthin gegangen; ein halbes Jahr später kam meine Familie nach. Im Grunde viel zu früh, weil ich mich darauf verlassen hatte, dass die Zusage für ein Haus zeitlich klappen würde. Wir haben dann allerdings noch ein weiteres Jahr in Übergangswohnungen, auch im Hotel, wohnen müssen, bis es soweit war. Das Haus befand sich auf dem Bulevardul Dacia. Diese Anwesen wurden vom rumänischen Staat angemietet und zur Verfügung gestellt. Der rumänische Staat, das Oficiu, behielt die Hand darauf. Und deswegen stand es weiter zur Verfügung für die Nachfolger und Nachfolgerinnen.

Rumänisch habe ich hauptsächlich vor Ort gelernt. Von einer Studentin, die mir das beigebracht hat – und learning by doing. Zunächst fand ich das nicht ganz einfach, weil es vor allem im Wortschatz so viele slawische und auch türkische Einsprengsel gibt. Mit der Zeit habe ich mich mit dem Rumänischen sehr gut angefreundet und meine Frau auch.

Als ich wieder in Bonn war, hat mir das noch zwei besondere Aufgaben eingebracht. Nachdem Außenminister Brandt 1968 einen ersten politischen Akzent mit seinem Besuch in Rumänien gesetzt hatte, machte Ministerpräsident Ion Gheorghe Maurer 1969 einen „Gegenbesuch“ – also eine Hierarchiestufe höher – mit mehreren Stationen in Deutschland. Da es im Auswärtigen Amt noch keinen Dolmetscher für Rumänisch gab, fragte mich unser Sprachendienst, ob ich mir diese Aufgabe zutraue. Das bejahte ich ohne Umschweife – mein rumänischer Kollege und ich dolmetschten also jeweils in die Muttersprache. Das gleiche Vergnügen hatte ich ein weiteres Mal, als Bundespräsident Heinemann und seine Frau 1972 einen Staatsbesuch in Rumänien machten. Wie damals üblich, saß man bei Tisch unmittelbar hinter dem Sprecher – für mich also Präsident Ceaușescu – „auf dem Trockenen“, das heißt ohne Essen und Getränk (das wurde Jahre später nach vielen Bemühungen unserer Chefdolmetscher – man saß dann zwischen den Gesprächspartnern – „menschlicher“, ob auch praktischer habe ich nicht mehr ausprobieren können). Mein rumänisches Gegenüber war dieses Mal die mir gut bekannte Banater Schwäbin Hedi Hauser. Ich fand das Ganze spannend und unterhaltsam und hatte den großen Vorteil, dass ich, im politischen Referat unter anderem für Rumänien zuständig, die aktuellen Themen der Gespräche kannte und die Ausarbeitungen dazu für die deutsche Seite selbst verfertigt hatte.

Wie haben Sie Kontakt zu Institutionen und Personen aufgenommen?

Ich fand ein offenes Feld und überall offene Türen vor. Die eine Seite war meine Neugier, und die andere Seite war das große Interesse der Menschen in Rumänien, mit dem westlichen Deutschland in Verbindung zu kommen. Das galt für Kultur besonders, für Wissenschaft aber auch. Infolgedessen, wo auch immer ich anklopfte, um meine ersten Besuche zu machen, um Verbindungen aufzunehmen, war große Bereitschaft vorhanden.

Ich bin systematisch vorgegangen und habe mit der Zeit, die – ich nenne sie mal: Provinzhauptstädte wie Hermannstadt (rum. Sibiu), Klausenburg (rum. Cluj-Napoca), Alba Iulia (dt. Karlsburg), Temeswar (rum. Timișoara) oder Iași (dt. Jassy) besucht. Dann habe ich mich bei allen möglichen Stellen von Zeitungsredaktionen bis zu Universitäten, bis zu Künstlern, Theatern und anderen Institutionen angemeldet und Besuche gemacht. Auf diese Weise habe ich Verbindungen aufgenommen und auch weiter gepflegt, natürlich auch zu Institutionen, die mit der deutschen Besiedlung zu tun hatten. So hat sich das beinahe von selbst entwickelt. Alles, was ich tat, musste auf meinem eigenen Mist wachsen. Zum Beispiel gab es eine Institution in Bukarest für die kulturellen Verbindungen zum Ausland, die Veranstaltungen im Ausland organisierte und durchführte und sich um die Besuche aus Deutschland kümmerte. Dort machte ich Besuch, damit man erfuhr, dass ich da bin und der künftige Ansprechpartner für jedwede Interessen der Rumänen bin. Zu den Universitäten bin ich gegangen und zu den Berufsorganisationen, zum Komponistenverband, Schriftstellerverband, Verband der bildenden Künstler und was es sonst noch gab, um zu sagen: „Hier bin ich, und ich kann für die Verbindung zur Bundesrepublik Deutschland von Nutzen sein.“ Es gab ja auch damals noch eine Generation, die nicht nur mit engen Verbindungen zu Frankreich und damit zur französischen Sprache groß geworden war, sondern mit Deutsch. Das waren die damals 50- bis 60-Jährigen, die auch teilweise zur Ausbildung in Deutschland gewesen waren, wissenschaftliche Beziehungen pflegten und fließend Deutsch sprachen. Da gab es also Anknüpfungspunkte; für diese Personen waren es Wiederanknüpfungspunkte. Ich sage bewusst Wiederanknüpfungspunkte, denn die DDR war ja schon längst da. Und mein Chef ließ mir bei allem völlig freie Hand.

Auf welchen Ebenen kam es zu einer Zusammenarbeit, und wie haben Sie in Rumänien und in Deutschland jeweils die Interessen des anderen vermittelt?

Das ist eine Grundsatzfrage, wenn man einem Angehörigen des Außenministeriums gegenübersitzt, und dieser spricht von kulturellen Beziehungen. Was Angehörige von Botschaften tun, ist in jedem Falle zweiseitig. Einerseits sollen sie das, was ihr eigenes Land, das Entsendeland ausmacht, kulturell in Gesprächen oder auch peu à peu in Aktivitäten und Programmen vermitteln. Umgekehrt soll sich der Kulturreferent seinerseits über die kulturellen und wissenschaftlichen Aktivitäten in seinem Gastland informieren und die Heimatbehörde unterrichten. Und aus solchen Besuchen und Gesprächen ergeben sich dann unter Umständen Anknüpfungspunkte. Nach Jahren kam es dann auch – in allen diesen Fällen war Rumänien das erste Land – zur Eröffnung eines Goethe-Instituts in Bukarest. Da war ich aber schon nicht mehr vor Ort.

Über meine Reisen, die Kontakte und die Gespräche, die ich dort geführt habe, habe ich ans Auswärtige Amt natürlich ebenfalls berichtet – und auch die Reaktionen weitergegeben, die ich erfahren habe.

Befanden Sie sich in einer Konkurrenz mit den Vertretern der DDR, und standen Sie miteinander in Verbindung?

Um es grob auszudrücken: Die Entsandten der DDR gerieten von einem Tag auf den anderen ins Hintertreffen, ohne dass ich etwas Besonderes dafür tun musste, denn das Interesse an Verbindung zum westlichen Deutschland war eben sehr groß, ob das Rumänen waren oder Siebenbürger Sachsen oder Banater Schwaben. Und für viele war es ein Wiederanknüpfen an frühere Zeiten. Wir sind zum Beispiel mit einem Geologen in sehr nahen Kontakt gekommen, der in Freiberg in Sachsen studiert und promoviert hatte. Er war sofort in der Vertretung und stellte sich vor, um wieder anzuknüpfen an die Zeiten der 1930er- und 1940er-Jahre, als er in Deutschland gewesen war.

Faktisch war es eine Konkurrenz zur DDR, auch wenn ich das so nicht empfunden habe. Ich habe festgestellt, dass das für die DDR-Leute natürlich schwierig war. Das konnte man auch bei großen Veranstaltungen sehen. Oft standen sie für sich zusammen und nicht unbedingt in der großen Schar der Gäste – und auch nicht so offensichtlich mit den Vertretern der anderen kommunistischen Länder. Und wenn wir dann beide da waren, von der einen und der anderen Seite, dann musste ich überhaupt nichts tun, um mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Es war de facto eine Konkurrenz, aber keine gesuchte.

Kontakte zwischen unseren beiden Vertretungen waren damals noch gar nicht etabliert. Vonseiten der DDR sowieso nicht, die gingen auf absolute Distanz. Später war das anders, da war es gang und gäbe, dass man mit den Mitarbeitern der DDR-Botschaft dienstlichen Kontakt hatte. Zu meiner Zeit in Bukarest noch nicht.

Wie haben Sie das Kulturleben in Bukarest und die dortigen Kulturschaffenden erlebt?

Diese Jahre von Ende 1965 bis Ostern 1969 waren für uns sehr prägend – nicht nur, weil es der erste Auslandsposten war, sondern eine gewisse offene und bereite Stimmung vermittelte. Ich muss hierbei immer wieder auf die einzelnen Personen kommen. Wenn Liviu Ciulei2Liviu Ciulei (1923–2011) war ein rumänischer Schauspieler, Filmregisseur und Theaterleiter. mir zum Beispiel gesagt hat, kommen Sie zu mir ins Theater, und ich zeige Ihnen mein Haus, dann gingen wir natürlich hin. Und in der Pause haben wir mit ihm gesprochen. Damit hatte sich’s. Und wir konnten dann bald tatsächlich genug Rumänisch, um zum Beispiel im Bukarester Teatrul Mic Aufführungen auf Rumänisch zu verfolgen. Da sind wir dann hin. In die Oper und in die Konzerte sowieso. Opernsänger kamen zu mir ins Büro, weil sie hofften, ich könnte Engagements vermitteln. Bildende Künstler kamen, weil ich sie auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung getroffen hatte. Sie sagten, „kommen Sie gern einmal in mein Atelier“, zum Beispiel Ion Pacea und Marcel Chirnoaga. Oder Marianne Ambrosi, die Malerin, oder das Ehepaar Jacobi – die waren Textilkünstler. Ich meldete mich zunächst überall einfach an. Dann war eine gewisse Verbindung da, und die blieb überwiegend beruflich, freundlich neutral. Aber sie vermittelte ja immer neue Eindrücke. Im Orchester in Klausenburg habe ich den Dirigenten Erich Bergel kennengelernt, mit dem wir dann auch mehrere Jahre befreundet waren. Die Begegnung mit dem dortigen Theaterchef Vlad Mugur ist mir noch heute in lebhafter Erinnerung. Es ergab sich einfach sehr viel durch meine Initiative, überall hinzugehen.

Ungefähr ein Mal pro Jahr war ich bei den Institutionen. Die Türen waren offen, und sie waren offen von beiden Seiten. Ich musste bloß ein bisschen was tun. Aber ich musste mich nicht über Gebühr bemühen. Und das war das Schöne. Ich kann mich nicht erinnern – wenn ich irgendwo versuchte, Besuche zu machen oder hinzugehen –, dass ich eine Abfuhr erhielt.

Hat man auch über Probleme im kommunistischen Land gesprochen, zum Beispiel über die Deportationswellen nach dem Zweiten Weltkrieg, die auch zahlreiche Deutsche betrafen, oder andere Repressalien?

Man hat über die Zeit vorher nicht konkret gesprochen. Dass sich die Leute furchtbar zurückgehalten haben, ist wahrscheinlich, vielleicht auch aus anderen Gründen, die wir nicht kannten. Im privaten Rahmen hat man über die Deportation gesprochen, das schon, aber mit allen, mit denen ich offiziell Kontakt hatte, mit denen überhaupt nicht.

Welche Begegnungen sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Eduard Eisenburger von der Karpatenrundschau in Brașov (dt. Kronstadt), Ernst Breitenstein vom Neuen Weg in Sibiu, mit dem habe ich viel Kontakt gehabt. Ja, das waren alles sehr intelligente Leute, die alle mit uns Kontakte hatten, natürlich Kontakt haben durften und auf der entsprechenden offiziellen Ebene und mit der entsprechenden Zurückhaltung diesen Kontakt auch pflegten. Dann bei der Neuen Literatur Emmerich Stoffel und der gute Arnold Hauser. Den habe ich einmal auch hier in Bonn getroffen. Ich sage das mal so mit meinen Worten: Er war durchaus Sozialist, aber auf der anderen Seite wusste und empfand er ganz klar, dass man nicht machen kann und sagen kann, was man für richtig hält und sich überall absichern musste. In Bukarest kamen unter anderen Paul Schuster mit seinem humordurchtränkten Roman Fünf Liter Zuika und Dieter Schlesak, der sehr bald von einer Reise „nach oben“ – also nach Deutschland – nicht zurückkehrte, hinzu. Auch die Germanisten Viktor Theiß sowie die Linguisten Bruno Colbert und Mihai Isbǎșescu waren häufige Gesprächspartner. Hierhin gehört auch Gisela Richter mit ihrer fast lebenslangen Beschäftigung mit dem nach Jahrzehnten immer noch nicht fertiggestellten Siebenbürgischen Wörterbuch in Hermannstadt. Mit dem Ehepaar Martha und Klaus Kessler, er Arzt und Schriftsteller, sie vorzügliche Altistin vor allem für Oratorien, wurden wir vertraut. Und die Komponisten Tudor Ciortea und Zeno Vancea, beide eine Generation älter als ich, mit ihrer ausgezeichneten Kenntnis nicht nur der deutschen Sprache, dürfen hier ebenfalls nicht fehlen. Bis heute besteht eine freundschaftliche Verbindung zu Götz Teutsch, damals ein vielversprechender Cellist aus Kronstadt und später jahrzehntelanges Mitglied der berühmten „12 Cellisten“ der Berliner Philharmoniker.

Ich habe mich natürlich sozusagen herangetastet und habe versucht, festzustellen, wie reagiert man auf das eine oder andere. Ich habe mich von mir aus zurückgehalten und nicht etwa gefragt „Was halten Sie von Ceaușescu?“ oder „Wie finden Sie denn die heutige Situation in Rumänien?“ oder so etwas. Ich war interessiert oder habe versucht, Verbindungen herzustellen. Verbindungen, die bestehen bleiben, auf die man zurückkommen konnte, und habe nicht im Sinne eines politischen Reporters drängende oder eventuell sogar Fangfragen gestellt.

Einmal fuhren wir durch Mühlbach (rum. Sebeș), und da habe ich zu meiner Frau gesagt: „Die Kirche, die müssen wir ansehen.“ Und dann habe ich da beim Pfarrer geklingelt. Da kam Albert Klein3Albert Klein (1910–1990) war ein evangelischer Geistlicher. Von 1969 bis 1990 fungierte er als Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien. an die Tür und hat uns reingebeten, und dann haben wir eine Tasse Tee getrunken und uns unterhalten. Und später habe ich seine Einführung als Pfarrer an der Schwarzen Kirche in Brașov, in Kronstadt, erlebt und ihn dann später, da war er bereits Bischof, verschiedentlich in Bukarest getroffen.

Ich habe auch alle orthodoxen Metropoliten besucht. Mit dem damaligen Metropoliten von Alba Iulia hatte ich sogar ein „wirkliches“ Gespräch. Der Metropolit in Iași, das war so ein richtiger Fürst. Das war dann ein völlig oberflächliches Gespräch, logischerweise.

Wir haben nicht zuletzt die ersten großen Ereignisse des kulturellen Austauschs zwischen beiden Ländern erlebt: Schon 1966 kam Wilhelm Kempf und begeisterte das Publikum mit den fünf Klavierkonzerten von Beethoven. Er war mit dem früheren Chef des Bukarester Sinfonieorchesters Georgescu befreundet gewesen. Kempf war offensichtlich gern der Bitte von dessen Witwe für ein Gastspiel gefolgt. Die persönliche Begegnung war für meine Frau und mich natürlich ein Erlebnis.

Ähnlich begeisternd für Publikum und uns persönlich war 1968 das Gastspiel der seinerzeit überall „hoch gehandelten“ Stuttgarter Oper mit Intendant Prof. Schäfer, Chefdirigent Ferdinand Leitner und Sängerinnenstars wie Inge Borckh, Martha Mödl und Hildegard Hillebrecht mit Elektra von Richard Strauß und Bluthochzeit von Wolfgang Fortner, der natürlich mitgereist war.

1967 erlebten wir als rumänischen „Beitrag“ zu diesem Austausch die traditionellen Enescu-Festspiele mit einer eindrucksvollen Anzahl weltberühmter Künstler. Für uns schoss allerdings der Madrigalchor aus Bukarest den Vogel ab: Eine technisch und atmosphärisch so vollkommene Darbietung hatten wir noch nicht erlebt. Nicht nur an diesem Abend zeigten die Künstler, dass die große Musiktradition des Landes unverändert sehr lebendig war – und bis heute ist.

Einen sozusagen persönlichen Höhepunkt erlebte ich ebenfalls 1968, als ich anlässlich des Internationalen Romanistenkongresses meine beiden früheren Lehrer aus Köln in unserem Haus begrüßen konnte.

Wie ging es 1969, nach Ihrer Rückkehr nach Deutschland, weiter? Haben Sie die Problematik der Auswanderung der deutschen Minderheit verfolgt?

Nach meiner Rückkehr war ich zunächst im politischen Referat im Auswärtigen Amt für Rumänien und Ungarn zuständig. Das passte natürlich ausgezeichnet. Ich bin seither auch Mitglied des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde und bin in den ersten Jahren auch öfter bei den Jahrestagungen gewesen. Ich war mit dem Problem der siebenbürgischen Pfarrer „Bleiben oder gehen“ schon in Rumänien selbst in Berührung gekommen. Das hat mich auch persönlich sehr bewegt.

Die Siebenbürger Pfarrer waren ja schlecht dran. Die siebenbürgisch-sächsische Kirche hatte mit der evangelischen Kirche Deutschlands eine Vereinbarung geschlossen: Wenn ein siebenbürgischer Pfarrer weggeht, dann kriegt er in Deutschland keine Stelle. Und deswegen bekamen die entweder tatsächlich keine Stelle, oder sie gingen in die Schweiz. Und wir kannten einen Pfarrer, der war schon während unserer Zeit zerrissen zwischen dem Gehen und dem Bleiben. Er sah sich in der Pflicht, bei seinen „Schäfchen“ auszuharren. Seine Frau wollte unbedingt weg wegen der Kinder. Die Frage „Ausreise“ war ja überall präsent. Ihr Ursprung ging auf jene Rumäniendeutschen zurück, die auf deutscher Seite am Krieg teilgenommen hatten, in russische Gefangenschaft geraten waren und nach Deutschland entlassen wurden. Das war jedenfalls ein gewichtiges Motiv, das der sogenannten Familienzusammenführung zugrunde lag und die betroffenen Familien in Rumänien nachhaltig beschäftigte.

Paul PhilippiPaul Philippi (1923–2018) war ein siebe4nbürgischer Theologe und nach 1989 Minderheitenpolitiker. Bis in die späten 1970er-Jahre lebte Philippi hauptsächlich in der Bundesrepublik Deutschland, anschließend verlagerte er seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Rumänien., mit dem habe ich intensiv auch in Deutschland Verbindung gehabt. Das ist lange, lange her. Er ist dann schließlich nach Rumänien zurückgegangen. Ihm hat man alles Mögliche vorgeworfen: „Du hast es leicht, Du kannst da ohne Probleme hingehen“ und so weiter. Das hat mich dann auch sehr beschäftigt. Mit der Zeit aber bin ich ja vollkommen im südamerikanischen Raum „untergetaucht“ und habe diese Diskussion, die dann auch langsam auslief und sich totlief, als unfruchtbar empfunden und vor allen Dingen für mich doch nicht mehr genügend nahe, um weiter intensiv damit verbunden zu bleiben. Das Problem im Auswärtigen Dienst ist ja: Alle drei, vier Jahre kommt man woanders hin. Dann „gewinnt“ natürlich, wenn man sich jeweils interessiert, das neue Gastland. Es muss ja auch mehr an Gewicht bekommen, sodass Eindrücke, Erlebnisse von früher fortbestehen, aber nicht – jedenfalls bei mir oder bei uns – das unverändert gleiche Maß an Interesse und Engagement auf sich ziehen, wie man es 30 Jahre früher hatte.

Waren Sie in die Problematik des Freikaufs5Mit dem sogenannten Freikauf von Rumäniendeutschen seitens der deutschen Bundesregierung, der Zahlung eines „Kopfgeldes“, wurde zwischen 1967 und 1989 die Ausreise von 226.654 Rumäniendeutschen aus dem kommunistischen Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland ermöglicht. involviert?

Ich persönlich hatte damit nichts zu tun. Auch mit dem politischen Referat nur indirekt, denn das wurde ganz woanders im Auswärtigen Amt geregelt. In der Tat habe ich mich, aber ich meine nur von der Peripherie, nicht als Beteiligter, dafür interessiert. Darüber informieren oder mich informieren, das konnte ich nicht. Das war ein abgeschlossener Bereich für die, die unmittelbar damit im Amt zu tun hatten.

Haben Sie auch Autoren aus dem deutsch-jüdischen Umfeld kennengelernt?

Ich habe weder mit Alfred Margul-Sperber6Alfred Margul-Sperber (1898–1967) war ein bukowinischer deutschsprachiger Schriftsteller jüdischer Herkunft in Rumänien. noch mit anderen Verbindung gehabt. Ich könnte mir vorstellen, dass die Leute, mit denen ich Kontakt hatte, wiederum Vorbehalte hatten, mich mit diesen Autoren in Verbindung zu bringen. Ich habe erst hinterher gemerkt, dass mir da interessanter- oder seltsamerweise wirklich ein paar wichtige oder interessante Leute völlig durch das Sieb gegangen sind, auch weil sie nicht bei den offiziellen Veranstaltungen waren. Da war vermutlich auch von ihrer Seite aus Vorsicht mit im Spiel. Juden waren ja damals zwar nicht verfolgt in Rumänien, sie hatten aber – wie es mir schien – einen schweren Stand.

Wir sind allerdings mehrfach im jüdischen Theater gewesen und haben auch Kontakt gehabt zu der Leiterin. Aber eine kulturelle Rolle hat das nicht gespielt.

Haben Sie Überwachung seitens des rumänischen Staates wahrgenommen; gab es in Ihrer Funktion als Angehöriger des Auswärtigen Amtes Kontakte zur Securitate?

Wir waren uns natürlich bewusst, haben uns rational klargemacht, dass man davon ausgehen muss, ständig irgendwie, irgendwo von irgendjemandem beobachtet zu werden. Wir hatten aber überhaupt keine Beschränkungen, uns im Land zu bewegen. Ceaușescu fuhr ja zunächst eine sehr eigenständige Politik im Verhältnis zum übrigen Ostblock und vor allem zur Sowjetunion, die im Westen ein wenig die Erwartung oder auch Illusion auslöste, dass er einen eigenen Kurs verfolgt. Was sich sehr bald als ein großer Irrtum herausstellte, was die ideologische Verlässlichkeit und Linientreue anbelangte. Aber den Versuch, eine gewisse eigenständige Politik nach außen zu führen, hat er fortgesetzt. Dazu gehörte ja auch schon, dass Rumänien der erste kommunistische Staat war, der mit uns offizielle Beziehungen aufnahm. So waren wir in unserer Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt. In dem Haus, das wir bezogen hatten, war selbstverständlich klar, dass dort Abhöranlagen eingebaut waren. Wenn meine Frau und ich persönlich etwas Wichtigeres zu besprechen hatten, gingen wir spazieren, das machten wir nie im Haus. Noch als wir nach dreieinhalb Jahren nach Deutschland zurückgekehrt waren, haben wir in die Zimmerecken geguckt. Das hatte sich so eingefleischt. Das zweite waren dann die Verbindungen mit den Menschen. Da konnte man auch davon ausgehen, dass sie der Securitate berichten mussten. Eigentlich hätte ich jeden Kontakt über das Außenministerium anmelden müssen. In vielen Fällen habe ich das auch getan, um den Anfang machen zu können. In anderen Fällen aber nicht.

Wenn Leute mit mir Verbindung aufnahmen, dachte ich mir: Entweder ist er sogar auf mich angesetzt, oder er weiß auf jeden Fall, dass er hinterher berichten muss. Wenn er von sich aus das Risiko eingegangen ist, mit mir Verbindung aufzunehmen und mich einzuladen, dann sehe ich nicht ein, warum ich meinerseits erst das Außenministerium fragen sollte.

Wurden Sie auf mögliche Kontakte mit dem Geheimdienst vorbereitet?

Die Beziehungen zu diesen Ländern – außer der Sowjetunion natürlich – waren ja alle neu. Es gab nur eine allgemeine Vorbereitung: „Sie wissen, Sie kommen in ein kommunistisches Land“ und so weiter. Im Einzelnen musste man im Land vor Ort die Kollegen fragen, die schon dort waren. Die Vertretung bestand ja schon. Es gab ein Hotel auf dem Bulevard Nicolae Bălcescu; dort wurden unsere Neuankömmlinge untergebracht. Und die haben dann mal ausprobiert, welche Hotelzimmer sie bekommen und ob da abgehört wird. Ein kleines Erlebnis einer Kollegin habe ich bis heute nicht vergessen: Wenn das Wasser tröpfelte oder irgendetwas nicht in Ordnung war, dann geschah nichts. Wenn sie aber in ihrem Zimmer lauthals über das tropfende Waser schimpften, war am nächsten Tag die Reparatur gemacht. Daraus haben wir dann geschlossen, dass – was sowieso zu erwarten war – unsere Leute in Zimmern untergebracht wurden, in denen Abhörvorrichtungen vorhanden waren.

Gab es im privaten Bereich Beschränkungen, und haben Sie später einmal Ihre Geheimdienstakten eingesehen?

Weder meine Frau noch ich haben das als Einschränkung empfunden. Ich habe es als vorhanden registriert und weiter gar nichts. Es waren die Bewegungsmöglichkeiten, die Kontaktmöglichkeiten, die dann auch nicht selten schon persönliche Züge bekamen und so anregend waren, so befriedigend, so inspirierend, dass mich diese Seite überhaupt nicht berührt hat. Und ich war ja überhaupt nicht eingeschränkt.

Mit einer rumänischen Familie stehen wir immer noch in Verbindung. Deren Sohn hatte vorzügliche Verbindungen zu dem Schriftsteller Mircea Dinescu, der Mitglied der rumänischen „Gauck-Behörde“7Gemeint ist die CNSAS, das Consiliul Național pentru Studierea Arhivelor Securității [dt.: Nationaler Rat für das Studium der Archive der Securitate]. ist. Unser Freund sagte: „Wir fahren da hin, und dann mache ich Dich bekannt.“ Und so kam es dann. Man sicherte mir Nachforschungen zu. Einige Zeit später kam mit der Post eine dünne Akte. Es standen auch nur idiotische Lächerlichkeiten drin. Interessantes gab es nicht. Mit Sicherheit muss es von mir mehr geben, das wäre sonst komisch. Diese internen Berichte stehen aber offenbar unverändert unter Verschluss, vermute ich. Inzwischen kann man im Übrigen via Internet eine solche Information beantragen.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie etwas bewegen konnten, oder gab es unüberwindbare Grenzen?

Ja, absolut. Und zwar wieder komme ich mit dem allgemeinen Hinweis: Interesse an der Ingangsetzung der Beziehungen, einmal formell, offiziell, aber dann eben auch persönlich. Denn alle diese persönlichen Verbindungen waren ein Erlebnis und eine unglaubliche Bereicherung für uns. Aber sie haben ja auch Früchte getragen. Grenzen habe ich nicht gesehen. Vielleicht lag das auch daran, dass ich nicht versucht habe, unübersteigbare Hürden zu überwinden. Ich habe also kein Enttäuschungserlebnis in Erinnerung. Als ich ins Auswärtige Amt eintrat, mich entschied, da möchtest du hin, da habe ich mir gedacht, an dem, was jetzt geschaffen werden muss oder wieder geschaffen werden muss oder aufgebaut werden muss oder wie man das nennen mag, da willst du ein ganz kleines Rädchen mitdrehen. Und dieses ganz kleine Rädchen, davon bin ich heute noch überzeugt, habe ich in Rumänien drehen können.

Ekkehard Hallensleben wurde 1930 in Celle geboren. Er studierte Romanistik und Germanistik in Braunschweig, Marburg, Perugia, Innsbruck, Dijon und Köln, wo er 1958 promovierte. Von 1959 bis 1961 war er Lektor für Deutsch an der Cairo University sowie an der Ain-Schams-Universität in Kairo. Anschließend war Hallensleben bis 1993 im Auswärtigen Amt tätig. Sein erster Einsatz im Ausland führte ihn nach der Ausbildung für den Höheren Dienst nach Rumänien, wo er von Dezember 1965 bis 1968 Kulturreferent an der Handelsvertretung und bis April 1969 Botschafter in Bukarest war. Von 1969 bis 1971 war er Referent für Rumänien und Ungarn und fungierte in dieser Zeit auch als Dolmetscher – unter anderem beim Besuch des Ministerpräsidenten Ion Gheorghe Maurer in Bonn (1969) und dem Staatsbesuch von Bundespräsident Gustav Heinemann in Rumänien (1972). Weitere Stationen führten ihn nach Santiago de Chile, Belgrad, Brasilia und La Paz.


[1] Die Bundesrepublik beanspruchte von 1949 bis 1969 die Alleinvertretung für das gesamte deutsche Volk.

[2] Liviu Ciulei (1923–2011) war ein rumänischer Schauspieler, Filmregisseur und Theaterleiter.

[3] Albert Klein (1910–1990) war ein evangelischer Geistlicher. Von 1969 bis 1990 fungierte er als Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien.

[4] Paul Philippi (1923–2018) war ein siebenbürgischer Theologe und nach 1989 Minderheitenpolitiker. Bis in die späten 1970er-Jahre lebte Philippi hauptsächlich in der Bundesrepublik Deutschland, anschließend verlagerte er seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Rumänien.

[5] Mit dem sogenannten Freikauf von Rumäniendeutschen seitens der deutschen Bundesregierung, der Zahlung eines „Kopfgeldes“, wurde zwischen 1967 und 1989 die Ausreise von 226.654 Rumäniendeutschen aus dem kommunistischen Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland ermöglicht.

[6] Alfred Margul-Sperber (1898–1967) war ein bukowinischer deutschsprachiger Schriftsteller jüdischer Herkunft in Rumänien.

[7] Gemeint ist die CNSAS, das Consiliul Național pentru Studierea Arhivelor Securității [dt.: Nationaler Rat für das Studium der Archive der Securitate].

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