Band 1 und 2 | 36. Jahrgang
Themenschwerpunkt
→ Olena Balun: Die Arbeit des Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine / Ukraine Art Aid Center
→ Anna Kaiser: Die Bedeutung von Übungen im Risikomanagement für Kulturgüter
→ Gudrun Wirtz: Was geht digital? Kulturgüterrettung im Angesicht des Krieges gegen die Ukraine
→ Round Table | Zwischen Haltung und Zurückhaltung – Die Rolle der Humanities im öffentlichen Diskurs
Aufsätze
→ Björn Opfer-Klinger: Armenische Diaspora in Bulgarien in Vergangenheit und Gegenwart
→ Beáta Márkus, Ágnes Tóth: Gedenkstätten der Verschleppung und Aussiedlung der Deutschen in Ungarn
Rezensionen
→ Wolfgang Höpken: Wissenschaft – Politik – Biografie. Die deutsche Südosteuropaforschung und ihre Akteure am Beispiel von Franz Ronneberger (1930er bis 1990er Jahre) (Tobias Weger)
→ Ulrich Wien: Die Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche in Rumänien 1919–1944 (Cornelia Schlarb)
→ Hélène Camarade, Luba Jurgenson, Xavier Galmiche: Samizdat (Tobias Weger)
→ Adrian-George Matus: The Long 1968 in Hungary and Romania (Franz Sz. Horváth)

Abstracts
Einführung: Akademische Kooperation, humanitäre Hilfe und Kulturgutschutz im zentraleuropäischen Beziehungsgeflecht
Florian Kührer-Wielach
Das Symposium „Humanität und Humanities – Herausforderungen für Wissenschaft und Kultur im Zeichen von Krieg und Krisen“ an der Universität Wien (Mai 2023) thematisierte die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Das Hilfsprojekt „Netzwerk Gedankendach“ entstand aus der Kooperation zwischen dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München und der Nationalen Jurij-Fedkowytsch-Universität Czernowitz/Tscherniwzi. Neben der humanitären Hilfe vor Ort ist der Kulturgutschutz in der Bukowina in zentraler Aspekt, sowohl im materiellen wie mithilfe von Digitalisierungsmaßnahmen. Der Krieg führte zu einer verstärkten Bedeutung der Digital Humanities im Kulturerbeschutz und zeigte die enge Verbindung zwischen akademischer Zusammenarbeit und humanitärer Hilfe. Der Text betont die Rolle von Netzwerken, kulturellem Engagement und der Selbstreflexion in den Geisteswissenschaften angesichts des Krieges.
Introduction: Academic cooperation, humanitarian aid and cultural heritage protection in the Central European network of relations
Florian Kührer-Wielach
The symposium “Humanity and Humanities: Challenges for Science and Culture in Times of War and Crises” at the University of Vienna in May 2023 focused on the effects of the Russian war of aggression on Ukraine. Particularly noteworthy is the “Gedankendach Network”, which has emerged from the cooperation between the IKGS and the University of Chernivtsi and bundles transnational, multilingual aid and protection initiatives. A central aspect is the protection of cultural assets in Bukovina, for example through creating digital records of historical monuments such as the University of Chernivtsi. The war has highlighted the increased importance of digital humanities in cultural heritage protection and the need for a close connection between academic cooperation and humanitarian aid. The text emphasizes the role of networks, cultural engagement and self-reflection in the humanities in the face of war.
Die Arbeit des Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine / Ukraine Art Aid Center
Olena Balun
Der Beitrag zum internationalen Hilfsnetzwerk Ukraine Art Aid Center beschreibt Struktur, Organisation und Vorgehensweise des Netzwerks von März 2022 bis Mai 2023. Im Fokus der Hilfsarbeit standen Hilfstransporte und Großprojekte zur Sicherung, Restaurierung und Digitalisierung der Kulturgüter unterschiedlicher Art. Dies wird an einzelnen Beispielen erörtert.
The Work of the Network Cultural Property Protection Ukraine / Ukraine Art Aid Center
Olena Balun
The article on the international aid network Ukraine Art Aid Center describes the structure, organization and approach of the network from March 2022 to May 2023. The aid work focused on aid transports and large-scale projects to secure, restore and digitize cultural assets of various kinds. This is discussed using individual examples.
Die Bedeutung von Übungen im Risikomanagement für Kulturgüter
Anna Kaiser
Für erfolgreiches Risikomanagement für Kulturgüter ist eine Zusammenarbeit zwischen Expertinnen und Experten aus dem Kulturbereich und Einsatzkräften notwendig. Dies stellt eine nicht alltägliche Kooperation dar und bedarf damit der gesonderten Schaffung von Schnittstellen zur erfolgreichen Zusammenarbeit. Der vorliegende Beitrag widmet sich dem Einsatz von Übungen in der Ausbildung von Fachleuten aus dem Kulturbereich, um sie in die Lage zu versetzen, erfolgreich mit Einsatzkräften zusammenzuarbeiten.
The Importance of Risk Management Exercises for Cultural Assets
Anna Kaiser
Successful risk management for cultural assets requires cooperation between experts from the cultural sector and emergency services. This is not an everyday cooperation and therefore requires the creation of special interfaces for successful cooperation. This article is dedicated to the use of exercises in the training of experts from the cultural sector in order to enable them to work successfully with emergency services.
Was geht digital? Kulturgüterrettung im Angesicht des Krieges gegen die Ukraine
Gudrun Wirtz
Der Beitrag widmet sich dem Potenzial digitaler Methoden im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und erläutert verschiedenartige Projekte und Initiativen: Digitale Instrumente ermöglichen einerseits eine nie dagewesene umfassende und zeitnahe Dokumentation von Zerstörung, ob in händisch geführten Datenbanken oder durch KI-gestützte automatische Auswertung sozialer Medien. Sodann können mittels Digitalisierung zwei- oder dreidimensionale Abbilder und Aufzeichnungen materiellen wie immateriellen Kulturguts gespeichert werden, die der Dokumentation und der Rekonstruktion dienen. Hier können Institutionen wie Privatpersonen aktiv werden. Einzig im Falle originär digitalen Kulturguts, das durch seine Abhängigkeit von Speicherplatz und Energie in besonderer Weise fragil ist, kann durch Duplizierung eine annähernd echte Sicherung erfolgen, sogar aus der Ferne. Der Beitrag arbeitet am Beispiel der Freiwilligen-Initiative SUCHO (Saving Ukrainian Heritage Online) heraus, dass in diesem genozidalen Krieg eine umfassende Definition von digitalem Kulturgut sinnvoll ist, dass letztlich kein Land der Welt solche Daten systematisch sichert, dass Metadaten für die Sicherung essenziell sind und schließlich, dass Open Access und offene Lizenzen den besten Schutz vor Vernichtung darstellen. Die in diesem 2023 verfassten Beitrag erwähnten Dokumentationen und Websites sind 2025 schon teils nicht mehr zugänglich. Einiges ist über das erste Kriegsjahr hinaus nicht weitergeführt worden.
What Goes Digital? Rescuing Cultural Assets in the Face of the War against Ukraine
Gudrun Wirtz
The article is dedicated to the potential of digital methods in the context of the Russian war of aggression against Ukraine and explains various projects and initiatives: On the one hand, digital instruments enable unprecedentedly comprehensive and timely documentation of destruction, whether in manually managed databases or through AI-supported automatic analysis of social media. Secondly, digitalization can be used to store two- or three-dimensional images and records of tangible and intangible cultural assets that can be used for documentation and reconstruction. Both institutions and private individuals can become active here. Only in the case of original digital cultural assets, which are particularly fragile due to their dependence on storage space and energy, can duplication provide an almost genuine safeguard, even remotely. Using the example of the volunteer initiative SUCHO (Saving Ukrainian Heritage Online), the article shows that a comprehensive definition of digital cultural assets makes sense in this genocidal war, that ultimately no country in the world systematically secures such data, that metadata is essential for securing it and, finally, that open access and open licenses are the best protection against destruction. Some of the documentation and websites mentioned in this article, written in 2023, will no longer be accessible in 2025. Some have not been continued beyond the first year of the war.
Armenische Diaspora in Bulgarien in Vergangenheit und Gegenwart
Björn Opfer-Klinger
Bulgarien wurde und wird, nicht zuletzt infolge seiner geografischen Lage an der Donau, am Schwarzen Meer und in der Nähe des Bosporus und des Ägäischen Meeres, Regionen die über Jahrtausende von Migration geprägt. Zu diesen Einflüssen zählt auch die reichhaltige armenische Kultur. Die ersten armenischen Einwanderungsbewegungen begann, als das Gebiet des heutigen Bulgariens Teil von Byzanz und später des Osmanischen Reiches war. Besonders im 15./16. Jahrhundert vergrößerten sich die armenischen Gemeinden in Bulgarien spürbar. Zu einem wichtigen Zentrum armenischer Kultur entwickelte sich dabei Plowdiw. Später entstanden Kooperationen zwischen armenischen und bulgarisch-makedonischen Revolutionen im Kampf gegen das Osmanische Reich. Die hier geknüpften Verbindungen bestanden noch bis zum Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig führte das jungtürkische Genozid gegenüber den Armeniern, der Zerfall des Osmanischen Reiches und der Russische Bürgerkrieg dazu, dass weitere armenische Migranten eine neue Heimat in Bulgarien suchten. Die Ära der sozialistischen Volksrepublik Bulgarien bedeutete für das armenische Leben im Land schwere Beeinträchtigungen. Erst ab 1990 stabilisierte sich die armenische Gemeinde wieder, wobei ein wichtiger Schritt für das armenische Schulwesen die Einrichtung armenischer Angebote an der Sofioter Universität zur armenischen Sprache entstanden, die die Ausbildung armenischsprachiger Lehrer erleichterte. Gleichzeitig entwickelten sich engere Kontakte zur unabhängig gewordenen Republik Armenien. So besteht auch heute eine kleine, aber lebendige armenische Kultur in der Republik Bulgarien.
The Past and Present of the Armenian Diaspora in Bulgaria
Björn Opfer-Klinger
Bulgaria has been shaped by migration for thousands of years, not the least due to its geographical location on the Danube, on the Black Sea and near the Bosporus Strait and the Aegean Sea. These influences also include Armenian culture. Armenian migration began when the territory of present-day Bulgaria was part of Byzantium and later the Ottoman Empire. The Armenian communities in Bulgaria grew considerably, especially in the 15th–16th century. Plovdiv developed into an important center of Armenian culture. Later, cooperation developed between Armenian and Bulgarian-Macedonian revolutions in the fight against the Ottoman Empire. The connections forged here lasted until the Second World War. At the same time, the Young Turk genocide against the Armenians, the collapse of the Ottoman Empire and the Russian Civil War led to further Armenian migrants seeking a new home in Bulgaria. The era of the Socialist People’s Republic of Bulgaria meant severe disruptions for Armenian life in the country. It was not until 1990 that the Armenian community stabilized again, with an important step for the Armenian school system being the establishment of Armenian language courses at Sofia University, which facilitated the training of Armenian-speaking teachers. At the same time, closer contacts developed with the independent Republic of Armenia. As a result, there is still a small but vibrant Armenian community in the Republic of Bulgaria today.
Das rumänische Konsulat in Wien als Drehkreuz für das Schicksal rumänischer Jüdinnen und Juden 1943
Daniela Schmid
Das von Mythen umrankte Narrativ von der Rettung von Jüdinnen und Juden rumänischer Staatsbürgerschaft durch das Generalkonsulat in Wien im Frühjahr 1943 wird in diesem Artikel hinterfragt, basierend auf Primärquellen aus dem Aktenbestand des Diplomatischen Archivs des Außenministeriums in Bukarest sowie persönlicher Einzelschicksale. Die Bemühungen einzelner Protagonisten der Konsulate werden aufgezeigt, aber auch das gleichzeitige Ausbleiben konkreter, umfassender Direktiven der offiziellen Stellen in Bukarest.
The Role of the Romanian Consulate in Vienna in Deciding the Fate of Romanian Jews in 1943
Daniela Schmid
The myth-enshrouded narrative of the rescue of Jews with Romanian citizenship by the Consulate General of Romania in Vienna in spring 1943 is scrutinized in this article, based on primary sources from the files of the Diplomatic Archives of the Ministry of Foreign Affairs in Bucharest as well as individual personal stories. The efforts of individual protagonists of the consulate are shown along with the simultaneous lack of concrete, comprehensive directives from the authorities in Bucharest.
Gedenkstätten der Verschleppung und Aussiedlung der Deutschen in Ungarn. 1952–2015
Beáta Márkus, Ágnes Tóth
Im Zentrum des Beitrags steht die Erinnerungskultur im Zusammenhang mit der Verschleppung der deutschen Minderheit aus Ungarn in die Sowjetunion und ihre Vertreibung nach Deutschland während der 1940er-Jahre. Dies wird vor allem im Hinblick auf die Gedenkveranstaltungen und die von den 1990er-Jahren bis 2015 errichteten Denkmäler untersucht. Verschleppung und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg waren in Ungarn bis zum politischen Regimewechsel in den 1990er-Jahren Tabuthemen. Seitdem versucht die ungarndeutsche Minderheit die neuen rechtlichen Rahmen zu nutzen, um Gedenkveranstaltungen zu organisieren und Denkmäler zu errichten. So soll die Erinnerung an die traumatischen Ereignisse der Vergangenheit für die Nachwelt erhalten bleiben. Dies dient auch dazu, die Identität der Gemeinschaft zu stärken und gleichzeitig ein deutliches Zeichen für die Präsenz der Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft zu setzen.
Memorials to the Deportation and Expulsion of Ethnic Germans from Hungary, 1952–2015
Beáta Márkus, Ágnes Tóth
This article focuses on the culture of remembrance in connection with the deportation of the German minority from Hungary to the Soviet Union and their expulsion to Germany during the 1940s. This is examined above all with regard to the commemorative events and the memorials erected from the 1990s until 2015. The deportation and expulsion after the Second World War were taboo subjects in Hungary until the political regime change in the 1990s. Since then, the Hungarian-German minority has tried to use the new legal framework to organize commemorative events and erect monuments in order to preserve the memory of the traumatic events of the past for posterity. These efforts serve to strengthen the identity of the community while also sending a clear signal of the minority’s presence to the majority society.